„Die Gegensätze der Ansichten im Pflegekinderwesen könnten nicht größer sein. Die einen sprechen von gesunden Kindern, deren besondere Entwicklungsaufgabe es sei, in zwei Familien aufzuwachsen. Die anderen sind überzeugt, dass eine Vielzahl von Kindern, die in sozialen Familien groß werden, in den Herkunftsfamilien schwer geschädigt wurden. Besuchskontakte mit Herkunftseltern sollen aufgrund der Retraumatisierungsgefahr un-
terbleiben, meint die eine Seite. Die andere Seite möchte Herkunftseltern in den Schoß der sozialen Familie aufgenommen sehen und von Pflegeeltern gut umsorgt wissen. In finanzieller Hinsicht ist man der Ansicht, dass Menschen keinesfalls aus wirtschaftlichen Interessen Kinder aufnehmen sollen. Wie aber diese Menschen ihren eigenen Unterhalt finanzieren, da sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen sollen, bleibt der Phantasie des Ein-
zelnen überlassen. Gleichzeitig wird viel Geld in Menschen investiert, die mit Kinderheimen Gewinn erwirtschaften. (…)Die Annahme, dass Eltern immer das Beste für ihre Kinder im Sinn haben und umsetzen können, ist wissenschaftlich nicht haltbar und im Pflegekinderwesen eher eine Ausnahme. Offensichtlich kommt es auf die jeweilige Interpretation des Begriffes Kindeswohlgefähr-
dung an. Was für den einen eine schwere Traumatisierung, beispielsweise aufgrund von sexueller Gewalt, und damit ein Ausschlussgrund für den Umgang darstellt, ist für den
anderen kein Grund, das Kind nicht mit dem Täter oder der Täterin zusammenzuführen. Blut ist schließlich dicker als Wasser. (…)Denn auch Kinder in sozialen Familien bleiben ihr Leben lang die Kinder ihrer sozialen Eltern. Eine „Familie auf Zeit“ ist eine Familie mit einem Gast. Kinder in Dauerpflegeverhältnissen allerdings sollen korrigierende Bindungserfahrungen machen, die einem Gast unmöglich sind. (Schutza, 2024 S.1)1
Ich möchte zur Aufklärung über das Pflegekinderwesen beitragen und zum Nachdenken anregen. Da dieser Bereich im Studium der sozialen Arbeit keine Erwähnung findet, bleibt der Erwerb von Kompetenzen im Fachgebiet Pflegekinderwesen jeder einzelnen Sachbearbeiterin und jedem einzelnen Sozialpädagogen selbst überlassen. Oft werden soziale Eltern mit Menschen konfrontiert, die ihre privaten Haltungen auf ihren Arbeitsbereich übertragen. Das kann weitreichende Folgen haben, denn wenn die Pflegeeltern nicht über die Vormundschaft verfügen, benötigen die Mitarbeiter der Jugendämter nicht einmal eine Gefährdungseinschätzung, um ein Kind in Obhut zu nehmen. Beispiele dazu finden Sie hier: https://pflegekinderrecht.die-rechtsanwaelte.com/neulich-im-amtsgericht/
- Schutza, N. (2024) Reformbedarf im Pflegekinderwesen – Eine quantitative Untersuchung zur bedarfsgerechten Unterstützung (werdender) sozialer Eltern für ein gelingendes Vollzeitpflegeverhältnis in einer auf Dauer angelegten Lebensform. Schulz-Kirchner-Verlag ↩︎
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